Gedankenversunken blickte Alma auf den stillen See hinab. Die Olivenhaine warfen große Schatten über ihr Gesicht und bewegten sich wogend im Wind. Neben ihr auf der Wiese lag Giovanni schlafend und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Fast beneidete sie seine Leichtigkeit. Es musste schön sein, nicht jeden Tag von Sorgen geplagt zu sein.
Ihren Liebsten weiterhin betrachtend zückte sie Stift und Papier. Ohne auf das weiße Blatt zu sehen, begann Alma liebevoll die Konturen der feinen Gesichtszüge festzuhalten. Ihr Blick glitt von den sanft geschlossenen Augenliedern, dem geraden Nasenrücken folgend, bis hinunter zu den kräftigen Lippen. Dort verweilend, beugte sie sich hinunter und hauchte einen sachten Kuss auf den lächelnden Mund. Innerlich konnte sie spüren, dass diese kostbare Blase jederzeit zerbrechen würde. Jede Sekunde wollte Alma sich einprägen und nie mehr vergessen. Langsam führte sie den Stift weiter. Die Brustmuskulatur, der Rumpf und die zarten Hände nahmen Gestalt an. Im Hinterkopf konnte sie die Stimme ihres ehemaligen Kunstlehrers wahrnehmen, welcher ihr die Kunst der florentinischen Renaissance nähergebracht hatte.  
Giovanni umgab eine solch umfassende Schönheit, dass sie nicht anders konnte als ihn mit den Statuen alter Meister in Florenz zu vergleichen. Viele solcher Idealbilder waren ihr während des Studiums zu Augen gekommen, aber keines hatte sie jemals so verzaubert, wie das friedliche Antlitz Giovannis.
Eine zarte Linie erschien zwischen seinen Augen, welche sie nur zu gerne mit dem Finger glatt gestrichen hätte.
Kaum war der Oberkörper zu Papier gebracht,  durchbrachen die summenden Flugzeugpropeller die Mittagsstille. Wie ein Bienenschwarm erschienen über der Bergkette die Maschinen der Allierten. Alma war nicht überrascht, schließlich wusste sie um diesen Einsatz. Donnernd wirbelten sie die Grashalme der Wiese auf, als sie über ihr Köpfe hinweg flogen.
Che? Giovanni blinzelte verdutzt, schaute gen Himmel und sprang augenblicklich auf beide Füße.
Beruhigend griff Alma nach seiner Hand und zog ihn langsam zurück auf das trockene Gras. Ungläubig beobachteten beide, wie ein rotes Inferno über dem Ufer explodierte und graue Staubsäulen die Sicht verdunkelten.
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