Lorena Vincenti war eine italienische Ehefrau wie sie im Buche steht.
Ihr braunes Haar war durchzogen von feinen silbrigen Strähnen, welche in einem strengen Dutt endeten und die Augen in mitten ihres gutmütterlichen Gesichtes sprachen von einer Trost spendenden Wärme.
Doch auch Lorena hatte ihre Geheimnisse, welche sie gekonnt hinter ihrer Maske versteckte. So bekam nicht jeder den kämpferischen Elan der kraftvollen Stimme, sowie die Intelligenz in den flinken Augen zu Gesicht.
Nur wenige Dorfbewohner wussten um die wahre Aufgabe Lorenas, welcher sie sich mit Leidenschaft in ihren Abendstunden widmete. Voller Pflichtbewusstsein ihrem geliebten Vaterland gegenüber, hatte sie unbemerkt den wichtigsten Knotenpunkt der Partisanenbewegung aufgebaut. In der eigenen Familie, hatte sie nur ihren ältesten und von ihr abgöttisch geliebten Sohn in ihre Verantwortung eingeweiht. So kam es, dass Lorena die kleine Bar im Dorfkern zum Mittelpunkt der geheimen Kommunikation zwischen den einzelnen Partisanengruppen umfunktioniert hatte. Mit einem breiten, wissenden Lächeln koordinierte sie die Botschaften,  als Bestellungen getarnt  und

„Giovanni!“ Überrascht erblickte Lorena ihren Sohn im Keller der Bar Roma. Normalerweise achtete sie mit Adleraugen darauf, dass niemand Zutritt zu dem kleinen Raum erhielt und drückte den dicken Schlüsselbund nachts vorsichtshalber an ihre Brust. Bis auf das laute Atmen, regte sich Giovanni nicht. Sein Blick war auf die deckenhohen Regal gerichtet, in welchen fein säuberlich beschriftete Metallkassetten thronten. Lorena hatte jede erhaltene Nachricht dem Alphabet nach geordnet, um sich einen Überblick verschaffen zu können. Als sich ihr Sohn nach einigen Sekunden immer noch nicht rührte, ging sie vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. Im dämmrigen Lichtschein erkannte Lorena, dass sein weißes Hemd zerrissen und die Haut darunter blutverschmiert war. „Giovanni?“
Wutentbrannt drehte sich dieser urplötzlich zu ihr um. Auffordernd zeigte Giovanni auf die Metallkassetten. Er hatte einige geöffnet und war sich deren Inhalt bewusst.
Angst stieg in Lorenas Brust auf, doch sie hatte gelernt mit ihr umzugehen. Ohne mit der Wimper zu zucken schluckte sie den Klos im Hals hinunter, erwiderte den Blick mit erhobenem Kinn und sagt: „Was denkst du denn mein Sohn? Dass ich hier untätig umherstehe und caffè ausschenke, während unser Vaterland bedroht wird? Deine Mutter ist keine ängstliche Hausfrau, die sich vor ihren Pflichten scheut!“
Giovannis Ton wurde schärfer und er nannte seine Mutter nun bei ihrem Vornamen: „Lorena. Wieso hast du es mir nicht erzählt? Ich bin dein Sohn, tuo primo figlio!“
Ein mitleidiges Lächeln zierte Lorenas Gesicht: „ Es ist gefährlich, mein Sohn.“
„Du versteht das nicht. Ich meine Nicht dies hier alles , sondern Alma!“
Zornig zog er eine Kassette aus dem Regal und warf sie ihr vor die Füße. Mit einem Knall öffnete diese sich und ein weißer Blätterhaufen bedeckte die rotbraunen Terrakottafließen.
Lorena kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen. Er hatte sie tatsächlich entdeckt, die Akte Almas.
Voller Traurigkeit blickte er sie an: „Du hast es die ganze Zeit gewusst.“
Nun erkannte Lorena, dass sich unter dem aufbrausenden Zorn ein gebrochenes Herz versteckte. Ihr armer Junge. Sie hatte gewusst, dass seine Gefühle verletzt werden würden.
Ihre eigene Würde jedoch nicht ablegen wollend, rief sie ihm hinterher: „Giovanni, ich habe dich ehrenwert erzogen! Denk an Maria, sie ist eine gute Frau!“
„Lorena, Basta!“ hallte es energisch von der obersten Treppenstufe hinunter.
Seufzend starrte Lorena auf das Chaos zu ihren Füßen und verfluchte die Fremde, welche diese Unordnung in ihr Leben gebracht hatte. Hätte sie doch damals nur energischer zu einer schnellen Hochzeit zwischen Giovanni und Maria gedrängt. Jedoch glaubte sie zu wissen, dass nicht einmal die Ehe die Verbindung zu Alma verhindert hätte.
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