Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=4CI3lhyNKfo
Florenz, 09 Mai 1938
La primavera hitleriana
Ein rascher Blick aus dem Fenster hatte ihr am frühen Morgen genügt, um die Anzeichen eines aufblühenden Frühlingstages zu erkennen. Der orangene Himmel hatte sich wie Wattebäusche schemenhaft hinter der Domkuppel ausgebreitet und ließ durch vereinzelnde Öffnungen, den kristallklaren Horizont erahnen.
Kurz nachdem Alma den Fuß vor die Tür ihres Appartements der Via del Proconsolo 9 gesetzt hatte, wurde sie von hektischer Aufruhr auf den Gassen begrüßt.
Bog sie nach links ab, so würde sie binnen von Minuten auf dem imposanten Piazza del Duomo stehen und sich wie jeden Morgen neben dem einmalig wunderschönen Bau sehr klein, gar unbedeutend fühlen. An diesem Tag, hatte sie jedoch wie fast jeder der Passanten keine Zeit für ein ausführliches Staunen über die Bauwerkskunst der Renaissance.
In der Betriebsamkeit der heutigen Ereignisse war sie nun doch froh, dass sie fast inmitten des florentinischen Zentrums wohnte, sodass sie sich nicht durch die Menschenmengen der Stadt schlagen musste.
Im Grunde genommen sollte sie dankbar sein, trotz der unmöglichen nächtlichen Unruhen, eine Unterkunft gefunden zu haben. Schließlich war sie damals Hals über Kopf in diese Stadt gezogen, ohne jemals einen Schritt weiter gedacht zu haben. Signora Marchetti kümmerte sich rührend um ihre junge Untermieterin und so hatte sie stets jeden Abend ein nahrhaftes Abendessen auf dem Tisch stehen, sowie ein offenes Ohr für allerlei Probleme.
Vielleicht sollte sie doch etwas gnädiger mit ihrem Professore Ranuccio Bianchi Bandinelli umgehen. Ohne ihn würde sie höchstwahrscheinlich mit ihrem einzigen roten Schweinslederkoffer alleine auf den Straßen sitzen.
Ranuccio war es damals gewesen, der ihr Potential erkannt und sie nach Florenz, die Wiege der italienischen Kunst, geholt hatte.
Es hatte kein Zurück mehr gegeben. Ohne Sicherheit, aber mit einem Traum war sie losgezogen: Sie wollte studieren. Genauer, das Schöne in der Welt, die Kunst.
***
„Singorina Alma. Schön, dass Sie uns auch mit Ihrer Anwesenheit beehren.“
„Buongiorno, Professore.“
Den Stapel Blätter ließ Alma, als Entschuldigung für ihre Verspätung, laut knallend auf einen der Tische im Besprechungssaal der Università degli studi fallen.
Seit ihrer Zusammenarbeit hatten sie ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt.
Ranunccio war für seinen Akademischen Grad noch sehr jung und hielt nicht viel von starren Gesellschaftsregularien. Ein Schmunzeln auf dem ebenmäßigen Gesicht mit slawischem Einschlag mütterlicherseits, wandte er sich an die weiteren anwesenden Personen.
Es waren drei an der Zahl; zwei Studenten mit ausgezeichneten Leistungen und der deutsche Leiter des Kunsthistorischen Instituts in Florenz Friedrich Kriegbaum.
Abschätzig hatten sie Alma bei ihrem Eintreten gemustert. Wunderlich war es nicht, sie war mit Abstand die Jüngste der Gruppe.
Ranunncio hatte sie dennoch trotz fehlender Erfahrung gebeten, dem heutigen Tag beizuwohnen und ihn zu unterstützen.
Verbunden durch die gleichen deutschen Wurzeln, hatte sie nicht ablehnen können. Diese Arbeit hätte ihr Sprungbrett sein können. Nicht ohne Grund hatte Alma ihre Familie in Breslau verlassen. Wenn eine Eigenschaft nicht zu ihrem Charakter nicht auf ihren Charakter zu traf, so war dies die Unentschiedenheit. Sie wusste was sie wollte, ansonsten hätte ihr Vater seine älteste Tochter nicht ziehen lassen.
Ihr Vater, ein gebildeter Großhandelskaufmann, war viel gereist und hatte seine Tochter schon früh in die Geheimnisse der Geschäfte eingeführt.
Das Interesse des kleinen Mädchens war zu seiner Missgünste, bedauerlicherweise auf die Kunst und das Philosophieren gefallen. Dickköpfig wie sie war, hatte Alma ihr Ziel nicht aus den Augen verloren und war bis nach Florenz gereist, um ihre Leidenschaft zu verfolgen. Diesen Ehrgeiz gepaart mit Witz und Scharfsinn, musste ihrem Professore gefallen haben, sodass auch sein Blick des Öfteren länger als angemessen auf ihrem Antlitz lag.
„Alma, ich nehme an, dass Sie alle benötigten Unterlagen bei sich haben?“
Selbstverständlich nickend, zeigte auf den prägnanten Blätterhaufen.
Das oberste Blatt zeigte das heutige programma an. Mehrere Wochen hatten sie sich gemeinsam auf den Besuch Hitlers in der Kulturhauptstadt Italiens vorbereitet. Um Punkt vierzehn Uhr würde der Duce höchstpersönlich mit seinem Gast an der Santa Maria Novella aus dem Zug steigen. Florenz sollte nach Neapel und Rom, der letzte Halt von Mussolinis Machtdemonstration gegenüber Hitler werden.
Ranunncio war damit beauftragt worden, das ehrfürchtige kulturelle Erbe Italiens gerecht zu präsentieren.
„Allora, wir haben nicht mehr viel Zeit. Sind Sie alle bereit?“
Er klatschte in seine Hände und die jugendliche Aufregung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
***
Florenz, derselbe Tag, 14 Uhr
Unter tosendem Applaus fuhren die beiden Führer um Punkt 14 Uhr von dem Bahnhof Maria Santa Novella im Osten der Stadt los. Trotz des feierlichen Anlasses war kaum eine Regung auf ihren starren Gesichtern zu erkennen. Nur das, dem Publikum gewidmeten Winken ließ auf eine Teilnahme an den Geschehnissen schließen. Eisern hatten beider Augen einen fernen Punkt am Horizont fixiert. Ein Ziel, welches jeder für sich behalten haben musste. Die angespannte Stimmung war dennoch nicht nur zwischen den Oberhäuptern zu spüren. Sie hatte sich über die ganze Stadt ausgebreitet und lies die Menschen enger zusammenrücken. Die Bevölkerung spürte, dass etwas Größeres im Gang sein musste. Es waren keine einfache Zeiten. Den Italienern war nicht nach einer festa zu mute.
Alma hatte einen strengen Zeitplan einzuhalten, dennoch hatte sie es sich nicht nehmen lassen die großspurige Inszenierung anzusehen.
An einer Straßenecke, im Halbschatten vor der Mittagssonne versteckend, glitt ihr Blick über die lange Prozession. Lächerlich erschien es ihr. Schließlich war sie eine der Personen, welche in die Geheimnisse des Ereignisses eingeweiht waren.
An einer Straßenecke, im Halbschatten vor der Mittagssonne versteckend, glitt ihr Blick über die lange Prozession. Lächerlich erschien es ihr. Schließlich war sie eine der Personen, welche in die Geheimnisse des Ereignisses eingeweiht waren.
Der tosende Applaus, die begeisterten Zurufe: Das alles war inszeniert.
In jedem zweiten Gebäude, welche die Hauptstraßen säumten, waren unbemerkt Lautsprecher in den oberen Stockwerken angebracht worden.
Ein Tonband lies alle paar Sekunden „Heil Hitler!“ oder „Heil Duce!“ verlauten.
Die ganze Stadt Florenz hatte seit der Ankündigung Hitlers, einer Baustelle geglichen. Wohin das Auge auch blickte, wurde das Stadtbild umgestaltet. Die aus pietra serena bestehende Brüstung des Arnos wurde durch Beton ersetzt, sowie die Fassade des Palazzo Vecchio rundum erneuert.
Die Via dei Cerretani erhielt einen fürstlichen Behang mit Bannern des nationalsozialistischen Regimes, welche sich quer zwischen den Häuserfassaden über den Köpfen der Schaulustigen spannten.
Nicht selten hatte Alma den Eindruck, dass sie seitdem tiefer in die Welt der materiellen Verführungen blicken konnte. Es war als ob, sie einen Schleier, oder einen Vorhang einer Theateraufführung beiseite schieben würde und das Drama des abgründigen Lebens dahinter mit bloßem Blick erkennen und verstehen würde.
Dieses tiefe Verstehen, bereitete ihr in raren Momenten sogar Angst. Seltsam war es, die Welt innerhalb ein paar Monate durch andere Augen zu sehen. Wie ein abgetragenes Kleidungsstück hatte sie ihr jüngeres Ich abgelegt und durch ein aktuelleres, reiferes Stück ersetzt. Ausladende, schwingende Röcke und Oberteile betonten ihre fast ein Meter achtzig große Figur. Mit ihren langen Beinen, einem ernsthaften Blick in den grünen Augen und den roten Haaren, welche elegant auf Ebene des zarten Schlüsselbeins endeten, fiel es ihr schwer unbeobachtet durch die Stadt zu laufen. Es war das sachte Schwingen der Kleider um ihre Beine, welche Ihr noch eine kindliche Freude bereitete, während sie mit strengem Blick den Straßen folgte. Das einzige, was sonst noch auf eine jugendliche Unbeschwertheit hinwies, waren die von der Sommersonne gebleichten Strähnen und der seicht schimmernde Bronzeton ihrer Haut, welche auf lange Tage in der italienischen Sonne zurück zuführen waren.
Ihre leicht erhöhten Sandalen klapperten auf dem Kopfsteinpflaster und die kleinen Steine an den Riemen glitzerten in der Mittagssonne kurz auf, ehe sie mit einem Schwung rechts um die Kurve bog und nur den Schein ihrer Silhouette auf der gegenüberliegenden Wand hinterließ.